Kurzcharakterisierung des FaltblattsSowohl bei Kindern, als auch bei Erwachsenen können einmalige, mitunter aber auch wiederholte anfallsartige Gesundheitsstörungen oder Verhaltensänderungen (kurz: Ereignisse) auftreten, die ganz unterschiedliche Ursachen haben können. Apparative Untersuchungen wie EKG und EEG können nach Ende des Ereignisses bereits wieder normal sein. Die aufgetretenen Symptome sind von Betroffenen und Beobachtenden oft schwer in Worte zu fassen. Daher fällt Ärztinnen und Ärzten die diagnostische Zuordnung anfallsartiger Ereignisse häufig schwer – es gibt ein Risiko für Fehldiagnosen und damit die Gefahr für falsche Therapieentscheidungen.
Moderne Handys bieten die Möglichkeit, die anfallsartigen Symptome zu filmen. Diese Videos können eine wichtige Hilfe für eine korrekte Diagnosestellung und passende Therapieempfehlung sein.
Das Faltblatt liefert Hinweise, wie Handy-Videos von anfallsartigen Ereignissen erstellt werden sollten.
Dieses Video ist stellt eine Situation dar, in der es unerwartet zu einer Verhaltensänderung eines Gesprächsteinehmers kommt. Die Verhaltensänderung ist nicht besonders spektakulär. Sie wurde von Betroffenen und Angehörigen möglicherweise seit längerer Zeit bemerkt bzw. beobachtet, konnte aber nicht richtig zugeordnet werden. Wird von der Situation - so wie hier vorgeführt - ein Handy-Video erstellt, kann dieses nachfolgend einer Fachärztin/einem Facharzt vorgeführt werden, die oder der hierin zahlreiche Elemente erkennen kann, die für das Vorliegen epileptischer oder auch nicht epileptischer Ursachen der Ereignisse sprechen.
Copyright: Prof. Wellmer/GmedBKW
Folgender Auszug aus der Arbeit Rammé et al., Handyvideos als diagnostisches Instrument anfallsartig auftretender Ereignisse. ZEpi 2021 (
https://doi.org/10.1007/s10309-021-00430-3), gibt eine Orientierung in der Problematik Einverständnis zur Erstellung und Weitergabe von Anfalls-Videos:
Für den [...] Punkt [juristischen Aspekte der Erstellung, Speicherung und Übermittlung der Anfallsvideos] sind [...] vor allem das Recht am eigenen Bild (unterschiedliche Gesetzgebung in Deutschland, Österreich und Schweiz) und die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) relevant.
Das Recht am eigenen Bild besagt, dass jeder Mensch darüber bestimmen darf, ob und in welchem Zusammenhang Bilder von ihm erstellt und veröffentlicht werden. Patienten sollten daher gegenüber ihren Angehörigen das Einverständnis zur Erstellung eines Videos und Weitergabe an den Arzt bekunden. Eine größere Herausforderung stellen Speicherung, Verarbeitung und Übermittlung der Videos unter Einhaltung der DSGVO und der häufig hohen Informationstechnik (IT)-Sicherheitsstandards der Kliniken und Praxen dar. Gemäß G. Widman (Neurologe und Datenschutzbeauftragter) fällt ein zu diagnostischen Zwecken verwendetes Anfallsvideo wie alle anderen medizinischen Daten in der DSGVO in die Kategorie der besonders schützenwerten personenbezogenen Daten. Daher kann die Speicherung, Verarbeitung und Übermittlung nur aufgrund einer Einwilligung der betroffenen Person und dann nur zu einem festgelegten Zweck (siehe auch Erlaubnistatbestände des Art. 9 DSGVO) erfolgen.
Die Aufklärungen zur Datenverarbeitung, welche seit Einführung der DSGVO im Rahmen der Behandlung von Patienten im Krankenhaus und Arztpraxen verpflichtend sind, beinhalten die Einwilligung zur Speicherung, Verarbeitung und Nutzung medizinischer Daten in der Patientenakte. In diesem Zusammenhang sind diagnostisch relevante Videos wie alle anderen Befunde in der Patientenakte zu bewerten.
Allerdings ist der Transfer der Videos vom Handy des Patienten oder Angehörigen in die Patientenakte schwierig. Oft wird ein direktes Aufspielen von Daten von fremden Medien oder Datenträgern von Krankenhausleitungen aus Angst vor Schädigungen der eigenen Software nicht erlaubt und daher technisch nicht ermöglicht (z.B. Sperrung des Zugriffs auf USB-Sticks). Zur Umgehung dieses Problems liegt es nahe, den Transfer von Videos webbasiert durchzuführen. Die im Alltag gängigen Social Media Plattfomen (Facebook/WhatsApp, TikTok, Instagram, YouTube) bieten dies sehr anwenderfreundlich an, eignen sich aber für den Transfer medizinischer Daten aus folgenden Gründen nicht:
- In der Regel unterstützen sie keinerlei Zweckbestimmung der Datenspeicherung, da sie auf das vielfache Teilen von Informationen abzielen.
- Diese Plattformen umgehen systematisch das Kopplungsverbot – im Gegenteil: die übertragenen Videos würden bei ihrer Nutzung regelmäßig und systematisch mit den übrigen Personendaten gekoppelt.
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- Schließlich erfolgt die Speicherung häufig außerhalb des Geltungsbereichs der DSGVO (z.B. USA).
Eine Nutzung von Angeboten der sogenannten „Big Data“ Konzerne, wie z.B. Facebook/Whatsapp, Google/Youtube, etc. sollte wenn immer möglich vermieden werden. Insbesondere wenn der Patient keine DSGVO-konforme Alternative zur Verfügung gestellt bekommt, um in gleichwertiger Qualität Anfallsvideos an den Experten zu senden, ist die notwendige „Freiwilligkeit“, mit der der Patient Gesundheitsdaten an „Big Data“ übereignet nach üblicher Rechtsprechung nicht mehr anzunehmen: Der Patient erfährt in diesem Szenario den Behandlungsvorteil der besseren Diagnostik nur dann, wenn er seine Anfallsvideos unter Einbeziehung von „Big Data“ übermittelt. Dadurch könnte dem Experten eine Mitverantwortlichkeit an derlei Gesundheitsdaten-Offenbarungen zugeschrieben werden. Solange keine DSGVO-konformen Übertragungswege zur Verfügung stehen, stehen Ärzte vor einem ethisch-moralisches Dilemma zwischen der ärztlichen Fürsorge (in diesem Falle unter zu Hilfenahme der Videos die Diagnostik relevant zu verbessern) und den juristischen Hürden, die diesen Prozess erheblich beschweren.
Lösungsansatz:
Ist ein Patient samt Handy und aufgezeichnetem Anfall persönlich beim diagnostizierenden Arzt, kann das Problem der Datenübermittlung pragmatisch umgangen werden, indem die Videos vom Handy des Patienten mit einem Klinik-Tablet abgefilmt und sie auf dem Krankenhausserver bzw. dem Klinikinformationssystem (KIS) gespeichert werden. Hierbei muss lediglich eine DSGVO-konforme Einwilligung zur Speicherung, Nutzung und ggf. weiteren Teilung erfolgen, und zwar aller im Video sichtbaren Personen. Diese Möglichkeit ist aber begrenzt auf Situationen des persönlichen Kontaktes des Arztes mit der Person, auf deren Handy sich das Video befindet.
In Fällen ohne diesen direkten persönlichen Kontakt scheint die DSGVO primär einer Lösung für die Überstellung der Anfallsvideos an den Experten im Wege zu stehen. Andererseits bereitet sie datenschutzkonformen Lösungen jedoch auch eine neue Plattform. So regelt §15 DSGVO die Auskunftsrechte betroffener Personen und macht es erforderlich, dass Krankenhaus-Informationssysteme Patienten-Portale eröffnen, in denen die Patienten gemäß ihrer aus der DSGVO herrührenden Rechte die über sie gespeicherten Daten einsehen können. Regelmäßig gibt es hier auch die Möglichkeit, dass Patienten basale Informationen anpassen können (Foto, Adresse). Eine Erweiterung im Sinnen eines Video-Uploads wäre wünschenswert und sollte leicht realisierbar sein.
Bereits 2013 gab es einige Apps für Patienten mit Epilepsie, die eine integrierte Video-Funktion besaßen, allerdings nicht das Problem der Datenübermittlung lösten. In der Zwischenzeit existieren zahlreiche weitere Apps, die neben Medikamentenerinnerungsalarmen und Anfallskalendern auch die Möglichkeit bieten, Anfallsvideos aufzunehmen. Zöllner et al. betonen in ihrer Arbeit, dass hinter den meisten dieser Gesundheits-Apps kommerzielle Anbieter stehen und eine Weitergabe der Daten an Dritte nicht ausgeschlossen werden kann.
Eine Lösung könnte das direkte Hochladen des Videos vom Smartphone des Patienten auf eine gesicherte Webplattform sein, auf die Ärzten und Kliniken zugreifen können. Es gibt aktuell zumindest eine telemedizinische Plattform, die den Patient-zu-Arzt- und Arzt-zu-Arzt-Transfer DSGVO-konform ermöglicht. Unter fachlicher Leitung von S. M. Zuberi (ehemaliger Vorsitzender der ILAE Kommission für Klassifikation & Terminologie und Mitentwickler der Initiative EpilepsyDiagnosis.Org der ILAE) wurde durch den Technologieanbieter vCreate Ltd. das System vCreate Neuro (www.vcreate.tv/neuro) zunächst durch das Schottische National Health Service (NHS) entwickelt. Dieses ist ein Cloud-basierter Dienst, der es registrierten Patienten oder ihren Angehörigen/Betreuern erlaubt, Handyvideos und die zugehörigen Metadaten sicher mit ihren Behandlern zu teilen.
Aktuell ist vCreate in Deutschland, Österreich und der Schweiz noch nicht verfügbar, es laufen aber Bemühungen, dieses zu ändern. Sobald diese oder andere für den DSGVO-konformen Anfallsvideo-Austausch geeignete Plattformen verfügbar sind, wird dieses hier bekannt gegeben.
Sollten Sie Kenntnis einer solchen Plattform haben, schicken Sie diese Information bitte an office@gmedbkw.de.